Was die Inuit uns lehren

Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter über „lange Linien“, Polizeizielzahlen, eine Weisheit aus dem hohen Norden und den genetischen Code von Polizisten.

Herr Minister, Sie haben zwischen Verwaltungsstrukturreform, Ausstattung der Polizei und Asylanträgen ein sehr konfliktreiches Arbeitsgebiet. Diktieren da nicht allzu oft die Ereignisse Ihre Tagesstruktur?

Wenn ich nein sagen würde, wäre das sicher nicht die zutreffende Antwort. Natürlich gibt es ein planmäßiges Arbeiten, die „langen Linien“. Aber häufig sind es die aktuellen Ereignisse, die meinen Terminkalender umgestalten.

Wir möchten in diesem Gespräch den Schwerpunkt auf die Gewährleistung der Inneren Sicherheit Brandenburgs legen. Welche „Langen Linien“ gibt es für das Land?

Langfristig gilt es, den Personalbestand der Polizei wieder aufzubauen, nachdem wir jahrelang das Personal zurückfahren mussten. Wir haben eine neue Polizeizielzahl für 2017: 8.230. Für das nächste Jahr sind es 8.250 Polizistinnen und Polizisten. Das ist eine wichtige und zugleich schwierige Aufgabe, geeignetes Personal für die Polizei zu finden, denn der übliche Weg ist die eigene Ausbildung. Deshalb haben wir die Zahl der Anwärterinnen und Anwärter erhöht. In den kommenden Jahren werden wir jährlich mindestens 350 junge Menschen bei der Polizei einstellen. Darüber hinaus werbe ich für die freiwillige Lebensarbeitszeitverlängerung. Dieser längere Arbeitszyklus ist notwendig, um den „personellen Flaschenhals“, der vor uns liegt, zu bewältigen. Gleichzeitig sind wir dabei, Berufsgruppen, die eine ähnliche Ausbildung haben, für die Polizei zu gewinnen. Das betrifft insbesondere Bundeswehrangehörige, die ihren Dienst beendet haben, und dabei speziell Feldjäger. Bisher absolvierten 25 die verkürzte Ausbildung. Sie machen einen hervorragenden Job. Zur „langen Linie“ gehört natürlich auch die technische Ausstattung der Polizei.

Welche Verbesserungen sind hierbei geplant?

Wir rüsten nach, um auf neue Gefahrensituationen wie terroristische Anschläge und Amoklagen reagieren zu können. Jede Polizeiinspektion wird mit halbautomatischen Waffen ausgestattet, um auch in extremen Gefahrenlagen gegenhalten zu können. Mit der MP7 führen wir eine sehr moderne Maschinenpistole mit ausreichender Durchschlagskraft und entsprechender Reichweite ein. Dazu gibt es die entsprechenden Schutzwesten, die auch dem Beschuss von Kalaschnikows standhalten, sowie Helme. Gegenwärtig beginnt die Ausbildung an diesen Waffen, einschließlich der taktischen Schulung. Das ist schon allein vom Umfang eine sehr ambitionierte Aufgabe, zu der wir länger als ein Jahr brauchen werden. Auch unsere Spezialeinsatzkräfte wollen wir personell verstärken. Ziel ist es, Spezialeinsatzkräfte rund um die Uhr in der Dienststelle vor Ort zu haben. Sie erhalten gegenwärtig neue Technik als eine der Schlussfolgerungen aus den Ereignisse in Paris, insbesondere im Club Bataclan. Zugleich gibt es Taktikschulungen.

Stichwort Bodycam für Polizisten.

Ich befürworte den Einsatz dieser Technik, der aber gesetzliche Grundlagen braucht. Ein entsprechender Vorschlag zur Novellierung des Polizeigesetzes Brandenburgs wird von unserem Haus an den Landtag gehen. Es gibt ja noch weitaus mehr technische Möglichkeiten wie beispielsweise die Drohne im Polizeieinsatz. Kurzum: Wir werden den technischen Fortschritt in die Gesetzgebung einfließen lassen.

Dieses Maßnahmenbündel aus mehr Personal und moderner Ausstattung stärkt das Image der Polizei. Nehmen das die Polizistinnen und Polizisten vor Ort auch so wahr?

Nicht nur das Image, auch den Respekt und die Wertschätzung für ihre Arbeit. Ich sehe es als meine wichtigste Ausgabe, Vertrauen bei den Kolleginnen und Kollegen – das möglicherweise in der Vergangenheit gelitten hat – zurückzugewinnen und zu stärken.

Wie viele als „Gefährder“ eingestufte Personen sind in Brandenburg unterwegs?

Wir sprechen da von einer niedrigen Zahl im zweistelligen Bereich. Die meisten Sorgen machen mir die unbekannten Gefährder oder, wie es eine Weisheit der Inuit beschreibt: Gefährlich ist nicht der Eisbär, den man siehst; gefressen wird man von dem, den man nicht sieht.

Wie ist Ihre Position zum Vorschlag des Bundes-Innenministers Thomas de Maizière, Polizei und Geheimdienst zu zentralisieren?

Ich bin für eine Kooperation sehr offen und habe mich da auch an den Bundesinnenminister gewandt. Es geht um ganz praktische Fragen wie ein Ausbildungs- und -Einsatztrainingszentrum. Das braucht der Bund, der ja eine GSG- 9-Gruppe in Berlin installieren will, genauso wie das Land Berlin und wir. Warum das nicht gemeinsam angehen? Gerade beim Verfassungsschutz gibt es Bereiche, die mit einer zentralen Verantwortlichkeit weitaus effektiver agieren können. Ich denke dabei insbesondere an die Schwerpunkte Cyber-Crime, die Bekämpfung des Islamismus und die Spionageabwehr. Zugleich können wir uns in Brandenburg auf die Reichsbürger, den Rechts- und Linksextremismus – wo wir eine große Kompetenz haben – konzentrieren.

In den letzten Jahren hat sich die Zusammenarbeit mit den polnischen Grenzschützern und der Polizei des Nachbarlandes gut entwickelt. Wie funktioniert das unter den veränderten politischen Bedingungen in Polen?

Das funktioniert exzellent. Auf den Arbeitsebenen hat wohl keiner gemerkt, dass es in Warschau Veränderungen gab. Polizisten haben den gleichen genetischen Code: Sie wollen Verbrecher jagen und fangen und damit das Leben sicherer machen.

Gerade wurde die Kriminalitätsstatistik 2016 veröffentlicht. Gab es da Fakten, die Sie überrascht haben?

Gefühlt waren wohl alle Brandenburger überzeugt, dass die Kriminalität zugenommen hat, exakt sank sie aber um 1,3 Prozent. Die Aufklärungsrate stieg um 0,5 Prozent, was ein schöner Erfolg für die Polizei ist. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Sorgen bereitet mir die Zunahme von über 24 Prozent bei schwerer und gefährlicher Körperverletzung.

Dazu gehören die Angriffe auf Polizisten. Haben die in Brandenburg zugenommen?

Bedauerlicherweise ja. Das waren im Jahr 2016 über 1.000 Übergriffe. Das reicht von Beleidigungen bei Verkehrskontrollen bis hin zu körperlicher Gewalt wie in Guben, wo drei Polizisten dienstunfähig geprügelt wurden. Der tragischste Fall dann am 28. Februar mit der Tötung der zwei Polizisten bei Beeskow.

Da fordern Sie härtere Strafen?

Eindeutig ja.

Was sagt die Statistik über kriminelle Handlungen bei Geflüchteten aus?

Da ist ebenfalls ein Zuwachs zu verzeichnen. Die meisten Fälle registrierten wir innerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte in Erstaufnahmeeinrichtungen. Es handelt sich vorwiegend um Körperverletzungen, sexuelle Nötigungen und sexuelle Handlungen an Kindern. Ich erwarte, dass sich in diesem Jahr die Situation deutlich verbessert, weil sich die Situation in den Gemeinschaftsunterkünften ändert und wir besonders Schutzbedürftige – wie alleinreisende Frauen mit Kindern – sicherer unterbringen und ethnische Probleme entschärfen können.

Viel diskutiert und scheinbar allgegenwärtig ist die Einbruchskriminalität, vor allem im Speckgürtel, der ja zu Brandenburg gehört. Welche Aktivitäten gibt es, das – bei aller Kompliziertheit der Ausgangssituation – irgendwie in den Griff zu bekommen?

Wir haben es dabei mit organisierter Kriminalität zu tun. Das ist wie eine Hydra, der man den Kopf abschlägt und zwei, drei wachsen nach. Inzwischen arbeiten in der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe (GEG) Polizisten aus Berlin und Brandenburg an der Aufklärung dieser Banden-Kriminalität. Übrigens haben sich die Tatzeiten verändert: von den Tages- in die Abend- und Nachtstunden.

Gibt es Momente, in denen Sie Ruhe und Entspannung finden? Wenn ja, wobei?

Wie alle wirklichen Brandenburger bin ich mit Herz und Seele meinem Heimatland verbunden. Ich wohne nördlich von Berlin. Das ist ideal, denn so habe ich vor meiner Haustür eine pulsierende Weltmetropole auf der einen Seite und auf der anderen die Naturschönheiten Brandenburgs mit Wäldern und mehreren Seen. Entspannung finde ich in der Natur, im Garten und – so oft es irgendwie geht – beim Laufen.

Sie sind ein Marathonläufer …

Es gab Zeiten, da war ich ambitionierter. Das vergangene Jahr war das erste ohne Marathon und das lag einfach an den fehlenden Trainingszeiten. Ich ringe noch mit mir, ob ich mich für den Berlin- Marathon anmelde, schließlich muss man diesen Lauf leben.

Das Gespräch führten Jürgen H. Blunck und Brigitte Menge