Blaues Porzellan und blaues Blut

Foto: Schloss Wolfshagen

Zwei Orte, zwei Herrensitze und unzählige Geschichten quer durch die Jahrhunderte. In der Prignitz erzählen Schloss Wolfshagen und das Gut Groß Pankow vom Leben des märkischen Landadels, beherbergen Schätze und schreiben längst neue Geschichten. Inspirator, Initiator und Bewahrer ist der Mediziner, Kunstsammler und Genealoge Prof. Dr. Bernhard von Barsewisch.

Manchmal, wenn der pensonierte Professor im Gästebuch von Schloss Wolfshagen Sätze wie „toll, dass aus unserer Schule ein Schloss wurde …“ liest, entscheidet seine Tagesform, ob er nachsichtig lächelt oder ärgerlich die Stirn runzelt. Meist siegt die Nachsicht, verbunden mit der Hoffnung, dass die Besucherinnen und Besucher des im Jahr 1787 errichteten Gutshauses der alt-ehrwürdigen Adels-Familie Gans zu Putlitz – deren Wurzeln bis ins 12. Jahrhundert reichen – mehr mitnehmen als flüchtige Eindrücke und Erinnerungen an einstige Schulstunden. Prof. Dr. Bernhard von Barsewisch, dessen Mutter Elisabeth eine geborene Gans Edle Herrin zu Putlitz war, kennt all die Geschichten, die sich hinter den Namen auf dem im Schloss ausgestellten Stammbaum des märkischen Adels verbergen. An diesem sonnigen Julivormittag kommt der 84-Jährige gerade aus Perleberg. "

Prof. Dr. Bernhard von Barsewisch in Groß Pankow – Foto: Brigitte Menge

„Ich habe bei der Lotte Lehmann Akademie hospitiert“, berichtet er und erzählt von den angehenden Opernsängern, die alljährlich im Sommer in der Prignitz für eine nachhaltige berufliche Karriere an europäischen Häusern ausgebildet werden. Bereits sein Großvater Konrad zu Putlitz förderte großzügig die in Perleberg 1888 geborene Operndiva Lotte Lehmann. Prof. Dr. Bernhard von Barsewisch ist Vorstandsmitglied der Freunde der Lotte Lehmann-Woche.

Im Salon von Schloss Wolfshagen berichtet er, dass bis zum Einmarsch der Roten Armee im April 1945 viele Generationen der Familie Gans zu Putlitz hier im Herrenhaus am Ufer der Stepenitz lebten. Nach dem Krieg fanden im Gebäude Flüchtlinge Unterschlupf, bis 1952 eine Schule eingerichtet wurde. Spätestens das war das Aus für die kostbare Inneneinrichtung, vor allem die bemalten Wandbespannungen. Auch der in den 1840er Jahren von Peter Joseph Lenné geplante große Landschaftspark an beiden Seiten der Stepenitz fiel dem Holzhunger der Nachkriegszeit zum Opfer.

Die Deutsche Einheit gab den Startschuss für die Wiederbelebung der alten Schönheit von Schloss Wolfhagen. Weithin leuchtet heute der sorgsam sanierte spätbarocken Bau in einem kräftig- warmen Rotocker. Im Inneren ist ein Museum, das bemerkenswerte Sammlungen zeigt. Eindrucksvoll ist aber vor allem der Gesamteindruck, denn die Besucher bekommen eine Vorstellung vom Leben in einem märkischen Gutshaus. Einblicke in eine untergegangene Welt. „Natürlich kennen fast alle die Königsschlösser in Berlin und Potsdam, aber die weitaus schlichteren Gutshäuser wurden mit und nach Kriegsende geplündert, enteignet, teilweise abgerissen oder entstellend umgebaut“, weiß der Augenchirurg, unter dessen Federführung der Förderverein Schloss-Museum Wolfshagen e.V. das Konzept für das Schlossmuseum entwickelte. Eigentümer des Schlosses ist die Gemeinde Groß Pankow (Prignitz), die es dem Förderverein Schlossmuseum als Betreiber des Museums langfristig zur Nutzung überlassen hat. Wolfshagen lässt die Atmosphäre eines märkischen Gutshauses mit vielen authentischen Ausstattungsstücken aus verschiedenen Epochen samt anheimelnder Gutsküche erleben.

Es ist ein lebendiges Museum, denn der einstige Gartensaal ist ein viel genutzter Ort für Hochzeiten, Konzerte, Empfänge und Lesungen. In der kleinen Schlosskapelle finden Gottesdienste, Taufen und Trauungen statt. Herrschaftlich wird’s im Esszimmer und den angrenzenden Salons, in denen Kaffeetafeln gebucht und veranstaltet werden können. Das Meißner bleibt aber selbst dann in der ersten Etage von Schloss Wolfshagen. Hier fand die Porzellansammlung von Prof. Bernhard von Barsewisch ihren würdigen Platz. Es ist die größte Sammlung von mitteleuropäischem unterglasurblau gemaltem Porzellan und umfasst Stücke aus vier Jahrhunderten und über 50 Manufakturen, darunter viel Handbemaltes aus Meißen. Mit dem Blick des Kenners verweist Sammler von Barsewisch auf Details der Dekore, auf chinesische Ornamente oder rein europäische Muster. Warum gerade Blaumalerei? „Viele unserer Prägungen liegen in der Kindheit, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht“, erklärt der Professor altersweise. „Das Sonntagsfrühstück mit der ganzen Familie von Zwiebelmuster- Porzellan aus Meißen gehört für mich zu den Erinnerungen an eine harmonische Vorkriegs-Kindheit. Das Porzellan überlebte, weil es bei Kriegsende dank meiner Großmutter väterlicherseits nicht auf den Gütern war. Später gingen einzelne Teile kaputt, und ich ging auf die Suche, diese Stücke zu ersetzen“, berichtet Prof. Bernhard von Barsewisch. Es dauerte nicht lange, da hatte sich der Mediziner mit der ihm eigenen Akribie und Leidenschaft das Wissen um die Handwerkskunst und den Kennerblick für das Detail angeeignet. Seine Veröffentlichung „Unterglasurblau gemaltes Porzellan“ gilt längst als Standardwerk. Stück für Stück wuchs die Sammlung, die dann gemeinsam mit Prof. Bernhard von Barsewisch 1993 in die Prignitz (zurück) kam. Voller Familiengeschichte(n) steckt auch die Sammlung von Textilien, die im Untergeschoss des Schlosses Platz fand. Der Professor öffnet die schmalen Schubladen der großen Holzschränke, wie sie auch Maler und Grafiker für ihre Werke haben. Und in der Tat liegt Kunst teilweise unter Glas: Damast-Tischwäsche mit eingewebten Familienwappen, der Brautschleier der Urgroßmutter, 300 Jahre alte feine, zarte Weißstickerei, die noch immer wie neu aussieht, dazu Accessoires, Hauben, Seidenbänder, Spitzentaschentücher … Handarbeiten verschiedener Techniken und als besonders seltenes und edles Stück ein Schwanenflaum-Cape der Fürstin Barclay de Tolly, geborene Freiin von Campenhausen. Zu jedem einzelnen Exponat kann Prof. Bernhard von Barsewisch die Geschichte erzählen, die meisten davon aus der eigenen Familie. Sichtbar gewordene Genealogie, denn seit vielen Jahren erforscht er die Geschichte der acht Ahnenfamilien seiner Urgroßeltern. Kirchenbücher, Briefe, verschiedenste Aufzeichnungen – vieles durch die Kriegswirren quer durchs Land verstreut – sind vor allem die Quellen für eine Forschungsarbeit, deren Ergebnisse weit über die Familiengeschichte hinausreichen.

Der Gartensaal von Schloss Wolfshagen – Foto: Schloss Wolfshagen

1993 kehrte der Augenarzt in seine alte Heimat zurück und zog in das Putlitzsche Gutshaus Groß Pankow, das Haus, in dem seine Mutter geboren wurde und (genealogisch etwas verwickelt) bereits deren Schwiegermutter als Halbwaise aufwuchs. Den größeren Teil des Gutshauses nimmt die augenärztliche Gemeinschaftspraxis mit Operationsraum ein, die zusammen mit dem Ocumed- Gästehaus die Augen-Tagesklinik Groß Pankow bildet. Prof. von Barsewisch erinnert sich noch gut an eine Sitzung des Kreistages von Pritzwalk zu Beginn der 1990er Jahre, in der er das ehrgeizige Projekt der Umwandlung der Außenstelle des Kreiskrankenhauses Pritzwalk in eine moderne Augenklinik erläuterte. Es war wohl vor allem seinem Renommee als langjährigem Oberarzt der Universitäts-Augenklinik der Ludwig- Maximilians-Universität sowie leitender Belegarzt der Augenklinik Herzog Carl Theodor in München zu danken, dass die Abgeordneten diesem ehrgeizigen und damals utopisch klingen Projekt grünes Licht gaben. Heute ist die Klinik eines der großen Augenheilkunde- Zentren in Deutschland. Patienten aus ganz Brandenburg und Sachsen- Anhalt kommen hierher, um sich operieren zu lassen.

Der Professor sitzt nicht mehr am OPMikroskop, er zitiert den Bibel-Satz, dass alles im Leben seine Zeit habe. 2003 verabschiedete er sich aus dem Medizinerleben. Ruhe? „Ich arbeite wie ein Pferd“, sagt er und verweist die Pflege und Erhaltung des Anwesens „aus Verantwortung“. Ein schöner rund vier Hektar große Landschaftspark samt Teich umgibt das Gutshaus in Groß Pankow. Bernhard von Barsewisch hat ihn nach historischem Vorbild zu neuer Schönheit erweckt. Neu entstand ein von Blumenbeeten begrenzter, zentraler Weg zum Haupthaus. Der kleine, gepflegte Familienfriedhof liegt am Rand des Parks. Prof. Bernhard von Barsewisch hält Vorträge, publiziert, ist Vorstandsmitglied in verschiedenen Vereinen, in denen sein fachlicher Rat genauso gefragt ist wie seine Lebenserfahrung.

Öffnungszeiten
März bis Dezember:
Mi. bis So. 11.00–17.00 Uhr
Januar und Februar:
Sa. und So. 11.00–17.00 Uhr

www.schlossmuseum-wolfshagen.com
www.barsewischgp.de
www.schlossmuseum-wolfshagen-verein.de