„Die Rücken können nicht lügen“

Fotos: Jürgen Strauss

Der Verleger Jürgen Strauss im Gespräch mit Armin Mueller-Stahl.

Warum malen Sie, Herr Mueller-Stahl?

Ich kam nicht zur Kunst, sondern die Kunst kam zu mir. Meine ganze Familie hat gemalt, meine Großmutter, meine Tante, meine Mutter, mein Vater, alle haben gezeichnet und da ich als kleiner Spund dazwischen saß, habe ich das gemacht, was alle getan haben, auch gezeichnet. So ging es los und heute ist die Malerei, die dann immer professioneller wurde, die Abdeckung der emotionalen Gefühle beim Hören von Nachrichten, die einen berühren und bewegen oder bei Begegnungen mit Menschen, die mich besonders angesprochen haben, dann ist das eine emotionale Ebene, die will gezeichnet werden. Das war der Grund, die Kunst, die durch die Verwandtschaft zu mir kam und sich langsam auf professionelle Weise mir näherte. Die emotionale Seite ist die für mich alles entscheidende. Wie bei Rembrandt, der seine Gefühle malerisch sehr unterschiedlich einsetzte und wie er das Handwerk dafür benutzte, ist es ein Spachtelstrich, ist es ein pastoser Strich oder ein zärtlicher Strich. Schwarz ist bei ihm so eine Hauptfarbe, immer ist etwas abgedunkelt, dann ist es ein Zustand seines Inneren. Ich erkenne aber auch wie er mitunter sehr stürmisch mit den Farben umgegangen ist, sehr pastos, so dass da eine Emotion vorgelegen haben muss. Wie er sich dem Portrait oder den christlichen Bildern genähert hat, das ist für mich schon faszinierend und wie er Licht und Schatten formierte, das ist umwerfend schön und das ist auch eine Art des Ausdrucks, die beispielsweise eine Photographie so nicht kann, denn ich lese bei ihm die Emotionen.

Wenn es ein bevorzugtes Sujet in Ihrer Malerei gibt, dann ist es das Portrait. Ist es die lange Erfahrung im Umgang mit Ihren Mitmenschen, die Ihre Darstellung so charakteristisch werden lässt oder ein psychologisches Ergebnis?

Armin Mueller-Stahl

Die Erfahrung spielt sicher eine große Rolle, weil ich so vielen Menschen begegnet bin, die hinter dem vorderen Gesicht ein hinteres Gesicht haben. Und das hintere Gesicht erzählt häufig die wahrere Geschichte des Menschen. Ich habe mich auch hin und wieder mit den Rücken von Menschen beschäftigt, weil es der Körperteil ist, der am wenigsten lügen kann und das Gesicht kann lügen, kann verstecken, kann Gedanken irgendwie zudecken, die man jedoch entdecken muss. Es gibt Momente, in denen man in einem kurzen Augenblick in ein Gesicht schaut und es scheint das zweite Gesicht durch. Man merkt, das stimmt nicht, das war jetzt eine Lüge. Man erkennt die Lüge plötzlich und will sie dann festhalten oder in der Mimik, in der Gesichtsgeografie möchte man sie festschreiben – das ist das Interessante.

Im Laufe des Lebens gab es häufiger mal die Situation, in der Menschen einen enttäuschen. Eine solche Situation ist keinem fremd, der schon eine Weile auf dem Planeten ist. Das ist auch ein Thema, das ich festhalten will, das An-sichdenken und nur den eigenen Vorteil sehen. Sich in den Vordergrund stellen und bei Problemen nicht einen Schritt auf den anderen zugehen. Es ist ein Gedanke, der die wahre Persönlichkeit erst aufscheinen lässt.

Das gesellschaftliche Geschehen unserer Zeit ist Ihnen vielfach Anlass zu künstlerischer Auseinandersetzung. Das gemalte Bild ist dann das Resultat, also eher ein gesellschaftlicher Dialog als eine Selbstreflektion?

World Trade Center 2001, Acryl, Feder auf Hartfaser, 80 x 60 cm, Repro: Jürgen Strauss

Dinge, die Scheußlichkeiten, wollen häufig von mir in der Malerei reflektiert werden. Es ist nicht nur Nine-Eleven, es ist auch das, was in Nizza passiert ist – das ist ein großes Bild geworden – der Bus, der dort in die Menschenmenge an einem hell leuchtenden Tag gefahren ist, es ist Paris, dieses ungeheure Morden während des Konzertes und der Überfall auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“, die Mohamed karikiert hat. Dieses hat mich bewegt, es ist München gewesen, Berlin, der Weihnachtsmarkt mit dem Widerspruch der glitzernden Welt und das Morden eines Einzelnen, der in die fröhliche Menschenmenge fährt, um viele zu töten. Das sind Dinge, die mich immer wieder beschäftigt haben und dass in großen Bildern. Aber ich habe mich auch mit Papst Franziskus befasst und wie die Mächte hinter ihm agiert haben. Er, der gerne aufdecken möchte, aber die dunklen Machenschaften hinter ihm binden ihm die Hände. Das geschieht ja nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Politik. Denken wir an Obama – es gibt ein Bild, was ich gemalt habe und wovon Frank-Walter Steinmeier (in seiner früheren Funktion als Außenminister) bei seiner Rede zur Eröffnung meiner Ausstellung in Brandenburg vorgelesen hatte, was auf dem Bild stand, um es selbst gerne zu sagen: „Obama gerät von einer Scheiße in die andere“. Voller Freude hat er das benutzt, selbst gesagt, was ich auf das Bild geschrieben habe, um es so zu sagen wie er es gerne selbst sagen würde. Und anschließend fügte er hinzu: “Mueller-Stahl kann es sagen, ich nicht.“ Obama konnte nicht das tun, was er wollte, die Tea-Party hatte ihn „eingemauert“. Und was findet in den Religionen statt, wie viel rumgeballert wird in der Welt wegen der Götter bis zum heutigen Tage – es ist unglaublich. Im Grunde genommen spielt es eine wichtige Rolle wie man selber zu seinem Nächsten steht, wie man im Kleinen seine Beziehung zur Nachbarschaft entwickelt, in so einer kleinen Zelle kann Religion am besten funktionieren, aber sobald sie den Anspruch auf Macht erhebt, wird es eine Katastrophe. Man muss in seiner eigenen Zelle Ordnung schaffen, sehen was und wer ist Dir wichtig, was wie wo, alles das muss man zusammentun und entscheiden, was notwendig ist.

In der Malerei kommt bei mir noch etwas anderes zur Emotion dazu – die Freude am Handwerk, die Freude am Zeichnen, der Spaß dabei. Zeichnen ist der Beginn der Malerei, es ist der direkteste Draht von der Seele in den Kopf, in den Arm, in den Zeichenstift. Das ist wie die Handschrift, das macht einen erkennbar. In der Handschrift erkennt man viele Leute, die dir nahe sind und beim Zeichnen auch. Ich erkenne Rembrandt, Picasso, Léger und ich erkenne auch Max Schwimmer aus Leipzig, diesen wunderbaren Zeichner, der das Bühnenbild mal für den „Sommernachtstraum“ gemalt hat. Er hatte einen Vorhang bemalt und als der schwarze Vorhang davor aufging und seiner sichtbar wurde, gab es im Theater der „Volksbühne“ standing ovations – unglaublich. Das werde ich nicht vergessen, es hat mich tief bewegt. Man sieht die Freude des Striches, die er beim Zeichnen hatte, wo er aufhört, wo eine Linie plötzlich abbricht obwohl sie weiterführen müsste. Er meinte, es ist genug und der Betrachter weiß, was es ist.

Sie werden auch durch Literatur und Ihre frühere Tätigkeit der Schauspielerei durch Filme und Theater in Ihrer Arbeit inspiriert. Geht das so im Wechsel vonstatten, ist das eine, Literatur/ Film, die Entspannung gegenüber der Auseinandersetzung mit den realen Verhältnissen des Lebens?

Am Morgen stelle ich fest, was mich mehr beschäftigt und natürlich ist der Fundus aus dem ich schöpfe auch meine frühere Arbeit als Schauspieler gewesen. Ich habe viel Theater gespielt, Rollen, die ich gespielt habe, wollen gezeichnet sein und Rollen, die ich spielen wollte, aber nicht gespielt habe, die ich aber gelernt habe wie den Faustus oder den Hamlet, Richard III., alles Figuren, die wollen aufs Papier. In diesem Vorgang steckt, dass die Menschheit zu allen Zeiten gleich war, der Betrug unter den Menschen, die Liebe unter den Menschen, der Tod spielt eine Rolle, auch der Verrat. Alle die Dinge, die heute so dominant sind, spielten auch damals eine Rolle.

Die Wiederkehr des Bekannten wird immer wieder in der Literatur aufgezeigt. Das aber, was sich verändert hat heute ist nicht der Mensch – der Mensch beginnt immer dumm als Baby und wenn er etwas vom Leben verstanden hat, muss er auch schon wieder abtreten. Das aber, was die Welt verändert hat, ist die rasante Schnelligkeit der Technik, der Computerwelt, der digitalen Welt, die uns davonrast und die Geister kriegen wir nicht mehr in den Griff. Das hat sich wirklich verändert, danach geschieht viel auch in der Kunst und in der Haltung der Menschen, die es vorher vielleicht so nicht gab. Also der Betrug kriegt eine andere Bedeutung, der Verrat, der Krieg sogar bekommt eine andere Dimension. Es ist eine Welt in Umwandlung, die die Technik uns vorschreibt.

Aktuelle Ausstellungen von Armin Mueller-Stahl im Kunstraum Gewerbepark Süd in Hilden und im Schloss Britz/Berlin.

Jürgen Strauss verlegte in seiner Edition 2001+2002 den ersten Kunstbildband von Armin Mueller-Stahl unter dem Titel „Rollenspiel – Ein Tagebuch, entstanden während der Dreharbeiten zu dem Film ‚Die Manns’“, gab 2006 ein weiteres Kunstbuch mit dem Titel „Armin Mueller-Stahl: Portraits“ im Aufbau Verlag heraus und kuratierte 2007 die Ausstellung „Lebenswelten“ von Armin Mueller-Stahl im Forum für moderne Kunst im Alten Rathaus Potsdam. Er ist mit dem Künstler gut befreundet und hat ihn schon mehrfach photographisch portraitiert.